Jan-Geert Wolff im Gespräch mit Petra Müllejans
Jan-Geert Wolff im Gespräch mit Petra Müllejans
Petra Müllejans ist in diesem Jahr einer der prominenten Gäste von „Furioso!Barock“ und leitet das Eröffnungskonzert am 15. September in St. Georg in Nieder-Olm. Sie gehörte 1987 zu den Mitbegründern des Freiburger Barockorchesters, heute eines der Spitzenensembles der historisch-informierten Aufführungspraxis und stand dem Orchester viele Jahre als Konzertmeisterin vor. Müllejans unterrichtet als Professorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main. Im Interview erzählt sie von der Faszination, die für sie von der Barockmusik ausgeht.
Frau Müllejans, Barockmusik haftete lange Zeit – und zu Unrecht! – etwas Gestriges, Verstaubtes an. Wie hat es die Musikszene geschafft, das zu ändern?
Dieses „Verstaubte“ stammt ja aus einer Zeit, bevor man sich richtig mit dieser Musik beschäftigt hat. Es waren großartige Künstlerinnen und Künstler, die das angestoßen haben: Alice und Nikolaus Harnoncourt, die Kuijken-Brüder oder Marie und Gustav Leonhardt. Tatsächlich gab es eine kleine Revolution, weil plötzlich Musik, Sprache und Tempi hinterfragt und neu gedacht wurden. Das geschah auf wissenschaftlich fundierte Art, so dass man diese Musik endlich so spielte, wie Sie vielleicht zur Zeit ihres Entstehens gemeint war und aufgeführt wurde. Sie kommt ja von der Sprache, von der Rede her. So betrachtet kann Barockmusik gar nicht verstaubt klingen, es sei denn, man führte ein Gespräch immer im selben Tonfall und ohne Punkt und Komma, ohne jeglichen Ausdruck. In der Musik war das aber in der Zeit, bevor die „Pioniere der Aufführungspraxis“ begannen, so: Wenn man sich alte Aufnahmen aus den 1950- und 1960er-Jahren meinetwegen von einer Matthäuspassion anhört, kann man die Sprache nicht als solche wahrnehmen. In der nächsten Generation nach Harnoncourts kamen jüngere Musikerinnen und Musiker wie zum Beispiel Andreas Staier oder Reinhard Goebel, die schon wieder einen neuen Blick auf die Musik vor 1800 hatten, im Falle von Goebel zum Beispiel mit aberwitzig schnellen Tempi. Das heißt, in den vergangenen 40 Jahren hat es sehr viele verschiedene Interpretationen „alter Musik“ gegeben, was ja an sich schon zeigt, dass Barockmusik eben schon lange nichts Gestriges und Verstaubtes mehr ist.
Wie sieht es denn beim Nachwuchs aus? Gibt es genug Interesse bei jüngeren Musikerinnen und Musikern?
Mehr als genug und das ist wunderbar! Ich bin jetzt seit etwa 25 Jahren Hochschuldozentin in Frankfurt. Damals gab es in Deutschland drei bekanntere Barockorchester: die Freiburger, die Kölner und die Berliner. An den Hochschulen wuchs zeitgleich ganz allmählich das Interesse der Studierenden an historischer Aufführungspraxis, was aber von vielen Lehrenden, die auf den modernen Instrumenten unterrichteten, durchaus kritisch gesehen wurde. Da gab es Kollegen, die das total ablehnten und ihren Studierenden sogar verboten haben, zu uns zu kommen. Die mussten das dann heimlich tun! Mittlerweile ist dieses Interesse aber explosionsartig angestiegen und die Kolleginnen und Kollegen der modernen Geigenklassen in Frankfurt zum Beispiel schicken ihre Studierenden sehr gerne zu uns, damit sie in Fragen der Stilistik, des Klangs der Barockinstrumente und dem sehr verschiedenen Umgang mit dem Barockbogen dazulernen. Da ist wirklich ein super tolles Feld geschaffen worden und wenn ich mir die heutigen Studierenden anschaue, ist mir um die Zukunft der Barockmusik nicht bange.
Sie leiten im Eröffnungskonzert von „Furioso!Barock“ das Neumeyer Consort. Worauf freuen Sie sich dabei am meisten?
Auf die Zusammenarbeit mit Felix Koch und Markus Stein! Beide habe ich an der Frankfurter Musikhochschule kennengelernt – aber so eine Zusammenarbeit, wie wir sie jetzt in diesem Programm haben werden, gab es in der Vergangenheit bislang terminbedingt leider nur sehr selten. Ich war im vergangenen Dezember in Frankfurt in einer Aufführung des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach mit dem Neumeyer Consort und vom Spiel des Orchesters sehr begeistert. Als dann die Anfrage von „Furioso!Barock“ kam, habe ich mich riesig gefreut. Felix Koch hatte erst an eine Aufführung der „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi gedacht, aber ich wollte lieber ein gemischtes Programm, durchaus auch abseits des immer wieder Gespielten und Altbekannten. Und nun haben wir ein wunderbares Programm entwickelt! Ich glaube, dass das für unser Publikum viel interessanter sein wird!
Was macht für Sie eigentlich den Reiz der Barockmusik aus?
Ich war mit zwölf Jahren Jungstudentin an der Musikhochschule in Düsseldorf und meine Professorin Helga Thoene – damals eine der ersten, die leidenschaftlich Barockgeige spielten – drückte mir irgendwann genau dieses Instrument in die Hand. Ich merkte sofort: Das ist es, was ich will – dieser klare, warme, gleichzeitig etwas raue Klang, die lebendigen Darmsaiten, die andere Behandlung des Bogens, all das hat mich sofort angesprungen. Als ich etwas später dann zum Studieren nach Freiburg zu Rainer Kussmaul kam, der natürlich vor allem ein sehr bekannter modernen Geiger war, aber daneben ebenfalls Barockgeige spielte, hatte sich bei ihm eine Klasse versammelt, die dafür sehr offen war. In einer weinseligen Nacht wurde dann von einigen Studierenden beschlossen, nicht weiter so große Künstlerinnen und Künstler wie Harnoncourts nur zu bewundern, sondern selber so was machen zu wollen. Daraus ist damals das Freiburger Barockorchester entstanden und eine Arbeit erwachsen, die mit viel Pioniergeist, aber auch mit vielen Kämpfen und Diskussionen verbunden war. Denn das, was wir von den „normalen“ Orchestern hörten, empfanden wir damals als total veraltet und unbeweglich. Das hat sich in der Zwischenzeit übrigens sehr verändert. Aber seinerzeit wollten wir niemals auf diese Art Musik machen, sondern die Barockmusik einfach neu entdecken.
Und wie ging es dann weiter?
Die Faszination für diese Musik war geweckt und ist geblieben, hat aber auch dazu geführt, dass alle diese Ensembles, die damals entstanden sind, nicht bei der Frühbarock- oder Barockmusik stehengeblieben sind. Man wendete sich der Frühklassik und Klassik zu, später der Romantik, denn jede Musik baut ja auf der davor auf, entsteht aus ihr. Und wenn man sozusagen aus der richtigen Richtung, nämlich aus der Vergangenheit kommt, wenn man diesen Klang und diese sehr lebendige, differenzierte und sprechende Art des Barock schätzt und beherrscht, dann versteht und spielt man jede spätere Musik in ihrem historischen Gewand besser.
Wie sieht Ihre Herangehensweise heute aus?
Nachdem die Barockmusik wieder in ihr ursprüngliches Gewand gesteckt wurde, ist uns allen – auch vielen Hörerinnen und Hörern – die Sprache der Musik jetzt schon sehr vertraut. Umso mehr suche ich bei jedem Akkord, jedem Ton und jeder Linie immer wieder nach einem neuen Verständnis, nach einer neuen Aussage, weil für mich in der Musik nichts langweiliger und uninteressanter ist, als eine Interpretation einfach zu reproduzieren. Ich muss mich in das Gefühl versetzen, der Komponist hätte die Noten gerade ganz frisch geschrieben auf unser Pult gelegt. Und wie spielen das dann mit den Erkenntnissen, die wir über die damalige Spiel- und Denkweise gewonnen haben. Für mich ist das eigentlich immer moderne Musik, weil ich sie immer neu entdecke. Im besten Fall ist das dann auch für die Zuhörerinnen und Zuhörer so, wenn sie ein Stück, dass sie zu kennen glauben, hören, als wäre es das erste Mal.
Was manche vielleicht überraschen dürfte: Sie musizierten auch lange Jahre mit dem fünfköpfigen Ensemble „Hot & Cool“ Tango und Klezmer. Inwiefern profitierten Sie dabei von ihren „barocken“ Wurzeln?
Solche nicht „klassische Musik“ habe ich eigentlich schon seit meiner Jugend gespielt, damals in „Petras Schrammel-Crew“ auf der Straße. Das war vielleicht ein bisschen peinlich, weil wir uns damit ja gar nicht auskannten, aber hat riesigen Spaß gemacht. Es hat mich schon immer fasziniert, dass es Musik gibt, die nicht ganz genau aufgeschrieben ist und die man daher mit Improvisationen versehen kann, ja muss. Statt strenge Regeln zu beachten, konnte ich hier so spielen, wie sich das für mich richtig angefühlt hat. Als wir das Freiburger Barockorchester aufgebaut haben, fehlte mir dann die Zeit dafür. Aber irgendwann fragte mich mein Schwager Bernhard von der Goltz, der als Gitarrist in der Weltmusik beheimatet ist, ob ich Lust hätte, mal bei einem Tango- und Klezmer-Programm mitzuspielen. Das habe ich getan und in dem Moment war es um mich geschehen: 20 Jahre lang haben wir mit dieser Gruppe sehr viel musiziert, was für mich immer ein sehr beglückendes Gefühl war – auch ein befreiendes und erfrischendes Gegengewicht zu meiner sonstigen Konzerttätigkeit in der Barockmusik. In der Gruppe „Hot and cool“ hatten wir zwar denselben hohen Anspruch, aber konnten für mein Gefühl viel entspannter daran arbeiten. Beide Spielfelder haben die Improvisation gemeinsam – nur mit unterschiedlichen Regeln. Dass ich in beiden Welten musizierte, hat mir damals sehr geholfen.
Haben Sie eigentlich barocke Lieblingskomponisten?
Eigentlich ist immer das, was ich gerade spiele, mein Lieblingsstück. Natürlich kann ich sagen, dass Johann Sebastian Bach ein unglaublich großes Zentrum in meinem Leben war und ist. Aber ich habe mich so wahnsinnig viel und intensiv mit seiner Musik beschäftigt, dass ich gemerkt habe, ich muss ihn jetzt mal ein bisschen „in Ruhe“ lassen, damit irgendwann vielleicht etwas Neues entstehen kann. Das schafft natürlich Raum für andere Programme und Ideen – so wie das, was Felix Koch für unser Konzert bei „Furioso!Barock“ ausgesucht hat.
Was erwartet die Hörer des Eröffnungskonzerts?
Sozusagen eine italienische Mischung: mit Werken von Corelli und Scarlatti, der italienische Händel ist mit dabei und Geminiani, der mit seiner Geigenschule ein ganz bekanntes und für uns Barockmusikerinnen und -musiker wichtiges Werk geschrieben hat, an dem wir uns im Unterricht orientieren. Es ist ein geigerisches Programm, das mit der Sängerin Adriana Kalafszky noch eine weitere, spannende Ebene bekommt: Der Gesang dokumentiert mit den Kantaten und Arien, dass Barockmusik ja, wie anfangs erwähnt, vom gesprochenen Wort herkommt. Wir musizieren also ein ganz wunderbares Programm, das sich, wie auch die anderen Konzerte des Festivals, wirklich lohnt anzuhören.
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